Unser Mandant, der Kläger, ging gegen seinen Schlussbescheid im 1. Juristischen Staatsexamen im Erstversuch vor. Er war zuvor von einem ebenfalls auf Prüfungsrechts spezialisierten Kollegen aus Hamburg vertreten. Bis zum Tag unserer Erstberatung lief das Verfahren schon über 10 (!) Jahre. Dieser Fall ist aus unserer Sicht ein Paradebeispiel für den gelähmten Rechtsstaat und das Versagen der Anwaltschaft und Justiz.
Im seinerzeit noch bestehenden 1. Staatsexamen ging der Kläger mit dem Anwaltskollegen mittels eines Widerspruchs gegen den Schlussbescheid im Erstversuch vor und begrenzte seine Begründung ungeschickt auf 2 Klausuren. Er begründete den Widerspruch nach diversen Aufforderungen durch das Prüfungsamt auch erst nach über 20 Monaten. Dieser wurde ablehnend beschieden. Anschließend erhob der vorherige Rechtsanwalt Klage, die er ebenfalls lange nicht begründete. Nach einer späten Klagebegründung und einer Klageerwiderung kam es zur mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht Bremen. Dort merkte der seinerzeit mit der Angelegenheit betraute Rechtsanwalt, dass er es versäumt hatte, den Kläger auf eine Frist hinzuweisen, innerhalb derer der Zweitversuch durch den Kläger noch hätte geschrieben werden können. Ein eindeutiger Fehler des Rechtsanwalts. Um die eigene Haut zu retten, schloss der Rechtsanwalt einen Vergleich, nach dem der Kläger den Zweitversuch innerhalb eines bestimmten Zeitraumes nun doch noch hätte wahrnehmen können, obwohl dieser den Zweitversuch aufgrund seines Gesundheitszustands niemals ernsthaft erwägen konnte. Außerdem sollte der Zweitvotant einer der beiden angegriffenen Klausuren neu bewerten. Es war klar, dass die notwendige Punktzahl durch ein neues Zweitvotum nicht erreicht werden konnte. So kam es, dass die Neubewertung durch den Zweitvotanten im Ergebnis zu nichts führte.
Nach etwa 4 Jahren gab es also einen neuen ablehnenden Bescheid, gegen den der damalige Rechtsanwalt erneut Widerspruch einlegte, ohne diesen über Jahre jemals zu begründen. Nach mehrmaligen Aufforderungen hat das Prüfungsamt mangels Begründung durch den Rechtsanwalt einen ablehnenden Widerspruchsbescheid erlassen, gegen den der damalige Anwalt Klage erhob – wieder ohne Begründung. Das Verwaltungsgericht ergriff dann eine rechtlich mögliche, jedoch in der Praxis eher ungewöhnliche Maßnahme und forderte nach § 92 Abs. 2 VwGO zum Betreiben des Verfahrens auf. In diesem Stadium kam der Kläger nach über 10 Jahren Verfahrensdauer zu uns.
Da wir bezüglich der aufgrund des Vergleichs angefertigten Neubewertung des Zweitvotanten lediglich einer Klausur im Ergebnis keine Aussicht auf Erfolg sahen, haben wir weitere Klausuren – insbesondere die zweite ursprünglich mit angegriffene – einbeziehen wollen. Der Hintergrund ist, dass es einen Schlussbescheid gibt, in dem alle Prüfungsteile enthalten sind. Der Vergleich beim Gericht war glücklicherweise nicht nur seitens des damaligen Rechtsanwaltes miserabel geschlossen worden. Auch das Prüfungsamt hatte vergessen, zu vereinbaren, dass im Falle eines erneuten Vorgehens gegen den neuen Schlussbescheid nach der Neubewertung lediglich noch das neu bewertete Votum einbezogen werden darf. Diese Formulierung ist in Berlin zum Beispiel üblich, weil der nach der Neubewertung zu erlassende Schlussbescheid rechtlich gesehen nicht auf eine Klausur oder ein Votum begrenzt ist, wenn es nicht vereinbart wird. Es war nach unser Rechtsauffassung rechtlich möglich den gesamten Schlussbescheid mit allen Prüfungsteilen anzugreifen. Im Übrigen hatte das Prüfungsamt keinen Ausschluss der Amtshaftung vereinbart. Dies war ein nicht uninteressanter Nebenschauplatz.
Das Verwaltungsgericht legte den Vergleich unter Außerachtlassung jeglicher Auslegungsmethodik dahingehend aus, dass ein Ausschluss weiterer Klausuren und Voten gewollt gewesen sei. Es entstand in der von uns nach umfangreichem Vortrag in Schriftsätzen wahrgenommenen mündlichen Verhandlung der Eindruck, dass insbesondere die vorsitzende Richterin, die sich mit dem Prüfungsrecht anscheinend nicht vertieft auseinandersetzen wollte oder konnte, mit den Gedanken schon wieder in der Kita war, in die sie nach eigenem Bekunden im Anschluss gehen müsse, um ihre Kinder abzuholen. Es geht um die berufliche Zukunft eines Menschen und das Gericht hat aus privaten Gründen Zeitdruck. Das ist einem Bürger kaum zu vermitteln.
Hinzu kam, dass die Vertreterin des Prüfungsamtes – eine abgeordnete Richterin und Kollegin der Kammer – in einem Gebäude mit den Richterinnen und Richtern der Kammer sitzt und man in der Pause auch über gemeinsame Mittagessen sprach. Die Krönung war, dass die Vertreterin des Prüfungsamtes sich in der Verhandlungspause in ihr Arbeitszimmer zurückzog und sich von der Kammer des Gerichts nach der Beratung anrufen ließ, um dann erst zurückzukehren. Die Vertreterin des Prüfungsamtes hat ihre Rolle als objektive Exekutive im Rechtsstaat offenbar eindeutig nicht zutreffend interpretiert. In dem erstinstanzlichen Urteil führte das Verwaltungsgericht dann aus, dass die Klage aufgrund des entgegenstehenden Vergleiches zum Teil sogar unzulässig sei, ohne dies im Detail dogmatisch zu begründen. Die Richterinnen verwechselten also prozessuale Erwägungen mit materiellen Erwägungen. Ihnen war trotz diverser Hinweise nicht klar, dass ein Prozessvergleich einerseits eine prozessuale und andererseits eine materielle Komponente hat, die sich nach den Regeln des öffentliche-rechtlichen Vertrages richtet. Außerdem war ihnen offenkundig nicht klar, dass zwischen dem Schlussbescheid und einer Einzelbewertung zu differenzieren ist.
Gegen das Urteil haben wir die Zulassung der Berufung beim OVG Bremen beantragt, weil die Auslegung des Vergleiches aus unserer Sicht falsch ist – ebenso die Abweisung als partiell unzulässig. Das OVG Bremen ist unserer Rechtsauffassung insoweit gefolgt, als dass das Verwaltungsgericht Prozessrecht mit materiellen Aspekten verwechselt hat. Die Klage war also vollumfänglich zulässig. Allerdings legte auch das OVG Bremen den Vergleich ohne die strenge Beachtung der Auslegungsmethodik sowie ohne Differenzierung zwischen der einfachen Auslegung und der ergänzenden Vertragsauslegung dahingehend aus, dass die Beteiligten alle Bewertungen außer der erneuten Bewertung durch den Zweitvotanten ausschließen wollten. Diese Auslegung ist aus unserer Sicht nicht im Hinblick auf unter anderem Art. 12 GG verfassungswidrig, sondern auch methodisch falsch. Wenigstens hat das OVG Bremen im Gegensatz zum Verwaltungsgericht den Versuch unternommen, dies zu begründen. Es stellte eine Parallele von dem Vergleich zu einem Urteil her und führte aus, dass es im Fall eines obsiegenden Urteils auch lediglich eine Neubewertung hinsichtlich der angegriffenen Voten durch dieselben Korrektoren gegeben hätte – also in diesem Fall des Zweitvotums. Dabei verkennt das OVG Bremen allerdings zwei Aspekte. Einerseits kann die Begründung im laufenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch jederzeit auf weitere Voten gestützt werden, weil es sich um einen Schlussverwaltungsakt handelt, der anders als in einigen Konstellationen der Nebenbestimmungen als gesamter Schlussbescheid Gegenstand des Verfahrens ist, weil der Klageantrag im Sinne des § 113 Abs. 1 bzw. Abs. 5 VwGO (je nach Konstellation bzw. Bundesland) mit der Formulierung “soweit” in der Regel am Ende der mündlichen Verhandlung gestellt wird. Andererseits ist es gerade das Wesen des Vergleiches, dass verhandelt werden kann. Während in dem Vergleich der Kläger zum Beispiel einen Teil der Kosten getragen hat, hätte er dies bei einem obsiegenden Urteil nicht getan. Er hat also mehr gegeben als bei einem Urteil. Somit ist es auch logisch, dass er dafür mehr bekommen wollte, nämlich keinen Ausschluss anderer Voten. So war der Vergleich auch formuliert, wenngleich der vorherige Rechtsanwalt darüber offenbar nicht wirklich nachgedacht hat – ebenso wenig die Vertreterin des Prüfungsamtes.
Letztlich ist die Auslegung, die das OVG Bremen im Beschluss zur Ablehnung der Berufung vornahm, schon bei verfassungskonformer Auslegung nicht haltbar, zumal die juristische Methodenlehre weitgehend außer Acht gelassen wurde. Auch die Argumentation, dass es auf den Fehler des Verwaltungsgerichts – diesen hat das OVG Bremen eingeräumt – im Hinblick auf die Abweisung der Klage als partiell unzulässig nicht ankomme, weil das Ergebnis schon stimme, ist bedenklich. Von einem Verwaltungsgericht als maßgebliche Instanz sollte erwartet werden, dass Prozessrecht und materielles Recht sauber getrennt werden können – auch im Hinblick auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG. Letztlich hat die Entscheidung auch insoweit einen faden Beigeschmack, als das Prüfungsamt mit dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht in einem Gebäude sitzt, die Beteiligten sich kennen und ein rechtsstaatlich bedenkliches Näheverhältnis zueinander haben. Wenn zudem die eingangs geschilderten Abläufe des Verfahrens beim Verwaltungsgericht berücksichtigt werden und die Tatsache, dass Befangenheitsanträge insoweit scheitern, empfindet ein Kläger ein solches Verfahren nachvollziehbar nicht mehr als rechtsstaatlich. Mit einem gerechten Rechtsstaat, auf den die Beteiligten einst vereidigt wurden, hat eine solche Rechtsprechung nicht mehr zu tun.
Nunmehr wird im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde zu entscheiden sein, ob unverhältnismäßig in die Berufsfreiheit aus Art. 12 GG eingegriffen bzw. willkürlich im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG gehandelt wurde. Bezüglich der Außerachtlassung der seitens des OVG Bremen zugestandenen Fehlerhaftigkeit der verwaltungsgerichtlichen Urteils bezüglich der partiellen Unzulässigkeit wird Art. 19 Abs. 4 GG relevant sein, weil ein materiell maßgeblicher Aspekt vom Verwaltungsgericht wegen der fehlerhaften Anwendung des Prozessrechts nicht geprüft wurde.
Allerdings ist zuzugestehen, dass der Kläger zu Beginn seiner Prüfungsanfechtung an am falschen Ende gespart hat. Wäre das Verfahren anwaltlich von vornherein nicht derart miserabel vom vorherigen Rechtsanwalt, sondern professionell geführt worden, wäre in einem viel früheren Stadium vermutlich ein positives Ergebnis erzielt worden.